Seit März 2020 sind auf EU-Ebene eine Vielzahl relevanter Regulierungen zu ESG (Environmental Social Governance) veröffentlicht worden. In erster Linie galten die Veröffentlichungen den Themen Klima und Umweltrisiken. Alle diese Nachhaltigkeitsregulierungen haben signifikante Relevanz für den Finanzmarkt. Allerdings sind diese EU-Regulierungen und ihre Implikationen bislang noch eher wenig im Fokus der Akteure.
Financial Benchmarks
Dies sind zunächst die delegierten Rechtsakte zu Financial Benchmarks, wie sie im Juli 2020 von der EU veröffentlicht wurden und mit Wirkung zum 01.01.2021 anzuwenden sind.
Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Dokumente:
COMMISSION DELEGATED REGULATION (EU) 2020/1816 of 17 July 2020
In der Verordnung geht es um die generelle Anwendung von ESG-Benchmarks und im Anhang wird detailliert regelt, wie ESG-Faktoren in Benchmarks reflektiert werden sollen und wie die damit verbunden Disclosure-Anforderungen umzusetzen sind.
Des Weiteren geht es um eine spezielle Benchmark-Regulierung zu
„Minimum Standards for EU Climate Transition Benchmarks and EU Paris-aligned Benchmarks„
Dies unterstreicht, welche Bedeutung die Kommission dem Klimaschutz im Rahmen von ESG beimisst.
Die Rolle der ESMA
Die ESMA hat in einem Brief an die EU-Kommission vom 28. Januar 2021 darüber hinaus jedoch dargelegt, dass dies aus ihrer Sicht nicht hinreichend ist. Sie fordert vielmehr, dass jede Institution in Europa, die ESG-Bewertungen vornimmt, analog einer Ratingagentur behandelt wird. D.h. auf Basis einer allgemeingültigen Verordnung wären damit alle einer einheitlichen Aufsicht zu unterstellen. Das Schreiben impliziert, dass sich hierfür die ESMA anbieten würde.
Extrem bedeutsam für alle Umweltregulierung und Überwachung ist wahrscheinlich die VERORDNUNG (EU) 2020/852 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen.
zur englischen Version auf der Seite der EU
Diese Verordnung tritt bereits zum 01.01.2022 umfänglich in Kraft und setzt die Kriterien fest, wann eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist, um damit den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition ermitteln zu können (Art. 1).
Die sechs Umweltziele der Verordnung im Überblick
Dafür gibt die Verordnung folgende sechs Umweltziele vor:
- Klimaschutz: Die Aktivität vermeidet oder verringert Treibhausgasemissionen oder verstärkt deren Abbau. Als Mittel zur Erreichung dieses Zieles werden unter anderem die Erzeugung, Übertragung oder Nutzung erneuerbarer Energien, Investitionen in den Ausbau von Stromnetzen und die intensivere und umweltverträgliche Nutzung von Kohlenstoffbindung und -speicherung genannt.
- Anpassung an den Klimawandel: Die Aktivität umfasst Anpassungslösungen, die entweder das Risiko der nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels erheblich verringern oder die nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels auf diese Aktivität selbst erheblich reduzieren.
- Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen: Die Aktivität trägt dazu bei, einen guten Gewässerzustand zu erreichen oder die Verschlechterung eines bestehenden guten Zustands zu verhindern. Als Mittel zur Erreichung dieser Ziele werden unter anderem der Schutz der Umwelt vor den nachteiligen Auswirkungen von Abwasser und von Schadstoffen wie Arzneimitteln und Mikrokunststoffen, der Schutz der menschlichen Gesundheit vor den nachteiligen Auswirkungen einer Verunreinigung von Wasser für den menschlichen Gebrauch und die Verbesserung der Wassereffizienz, etwa durch Förderung einer nachhaltigen Wassernutzung auf der Grundlage eines langfristigen Schutzes der verfügbaren Wasserressourcen, genannt.
- Kreislaufwirtschaft, Abfallvermeidung, Wiederverwendung und Recycling: Die Aktivität trägt bei zu Verbesserungen, unter anderem der Effizienz bei der Nutzung natürlicher Ressourcen, inkl. Maßnahmen zur Ressourcen- und Energieeffizienz, der Dauerhaftigkeit, Reparierbarkeit, Aufrüstbarkeit oder Wiederverwendbarkeit von Produkten, insbesondere bei der Konstruktion und Herstellung, der Recyclingfähigkeit von Produkten, einschließlich einzelner in Produkten enthaltener Materialien, unter anderem durch Ersatz oder verringerten Einsatz von Produkten und Materialien, die nicht recyclingfähig sind und der Verwendungsdauer von Produkten, auch durch Wiederverwendung, Auslegung auf Langlebigkeit, Umnutzung, Demontage, Wiederaufarbeitung, Aufrüstung, Reparatur und gemeinsame Nutzung.
- Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung: Die Aktivität trägt unter anderem bei zur Vermeidung oder – wenn nicht praktikabel – Reduzierung von Schadstoffemissionen, bei denen es sich nicht um Treibhausgase handelt, in Luft, Wasser und Boden, Verhinderung oder Minimierung der nachteiligen Auswirkungen von Produktion, Verwendung und Entsorgung von Chemikalien auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt und Beseitigung von Müll und anderer Verschmutzung.1. Schutz und Wiederherstellung der biologischen
- Vielfalt und der Ökosysteme: Die Aktivität trägt unter anderem bei zur Erhaltung der natürlichen und biologischen Vielfalt, etwa durch Erreichung eines „günstigen Erhaltungszustands“ natürlicher und semi-natürlicher Lebensräume und Arten, ur nachhaltigen Bodennutzung und -bewirtschaftung, zu nachhaltigen landwirtschaftlichen Praktiken, etwa durch Verbesserung der biologischen Vielfalt oder Eindämmung und Verhinderung der Verschlechterung der Bodenqualität und zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung, etwa durch Förderung der biologischen Vielfalt oder Eindämmung und Verhinderung der Verschlechterung von Ökosystemen.
Taxonomie der EU-Kommission Ende November 2020
Art. 8 der Verordnung zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen enthält eine detaillierte Verpflichtung realwirtschaftlicher Unternehmen zur Veröffentlichung nichtfinanzieller Angaben zu jedem der sechs Bereiche. Bislang wurden in den anschließenden Rechtsakten jedoch nur die beiden ersten Ziele „Klimaschutz“ und „Anpassung an Klimawandel“ in einer umfangreichen, mehrere hundert Seiten umfassenden Taxonomie für einzelne Branchen und Bereiche detailliert. Diese Taxonomie hat die EU-Kommission Ende November 2020 in einem Konsultationspapier vorgestellt. Die Konsultation umfasst folgende Teile:
- https://ec.europa.eu/finance/docs/level-2-measures/taxonomy-regulation-da-2020_en.pdf
- https://ec.europa.eu/finance/docs/level-2-measures/taxonomy-regulation-da-2020-annex-1_en.pdf
- https://ec.europa.eu/finance/docs/level-2-measures/taxonomy-regulation-da-2020_en.pdf
- https://ec.europa.eu/finance/docs/level-2-measures/taxonomy-regulation-da-2020-annex-1_en.pdf
- https://ec.europa.eu/finance/docs/level-2-measures/taxonomy-regulation-da-2020-annex-2_en.pdf
Es ist davon auszugehen, dass diese Screening Criteria auch für Banken im Rahmen ihrer Kreditvergabe sowie für Ratingagenturen zukünftig regulatorische Bedeutung erlangen werden.
Die Regulierung wendet sich zunächst aber vor allem an nichtfinanzielle Unternehmen ab einer bestimmten Größe (>500 Beschäftigte). Sie hätten zukünftig neben ihren finanziellen Ergebnissen auch umfangreiche nicht-finanzielle Daten zu den sechs Umweltbereichen zu veröffentlichen, beginnend mit dem Klimaschutz. Im Kern läuft die Verordnung auf die Etablierung einer zweiten Buchhaltung und eines zweiten Berichtssystems neben dem Finanzwesen hinaus.
Um ihre Verpflichtungen zu erfüllen, müssen die größeren Unternehmen aber künftig auch in ihrem Reporting ihre gesamte Wertschöpfungskette kennen. Dies geht nicht, ohne dass sie auf ihre Zulieferer und Abnehmer zugehen, und von ihnen die entsprechenden Daten verlangen. Insofern betrifft die neue Nachhaltigkeitsregulierung letztlich ALLE Unternehmen.
Die Komplexität des Vorhabens lässt sich dabei nicht nur aus den umfangreichen, zur Konsultation gestellten Taxonomieregeln ableiten. Die ESMA hat den Auftrag von der EU erhalten, verschiedene, in der Verordnung nur allgemein aufgeführte Kennziffern (Art. 8 der Verordnung) zu spezifizieren und dazu bereits eine Konsultation gestartet.
Konsultation der EU-Kommission zur Taxonomie Regulierung
Das Konsultationspapier Consultation Paper Draft advice to European Commission under Article 8 of the Taxonomy Regulation legte die ESMA am 5. November 2020 vor. Es zeigt nicht nur die Komplexität des Vorhabens auf, sondern geht im Kern in seinen Vorschlägen auch noch deutlich über die Verordnung hinaus, indem vorgeschlagen wird, alle Reportings für jede ökonomische Einzelaktivität für sich und für jedes Einzelziel getrennt vorzulegen.
Auf der Seite 68 ff. des Konsultationspapiers umreißt die ESMA die Folgerungen der Verordnung für Assetmanager, die folglich der Logik der Verordnung folgend für alle ihre Investmentportfolios entsprechend reporten müssten. Dies hat zur Folge, dass sich die neuen Anforderungen nicht nur an sogenannte nachhaltige Investmentfonds richten würde, sondern letztlich an alle Fonds unabhängig vom zugrundeliegenden Asset.
Mit Verordnung VERORDNUNG (EU) 2020/852 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen spitzt sich die ESG-Regulierung somit auf den Umweltbereich – und hier zunächst das Thema Klimaschutz – zu. Allerdings ist davon auszugehen, dass die anderen vier Umweltziele noch in der Detaillierung nachgearbeitet werden.
Die Verordnung hat voraussichtlich weitgehende Implikationen für die Realwirtschaft, denn sie müsste demnach
- ein zweites, sehr komplexes Reportingsystem aufbauen;
- ihre Refinanzierung über die Kapitalmärkte, aber auch über Banken zukünftig in erheblichem Maße von diesem Reporting abhängig machen.
Banken und Finanzmärkte werden von dieser Regulierung mehrfach betroffen sein
Am 29. Mai 2020 hatte die EBA bereits ihren Final Report „Guidelines on loan origination and monitoring“ vorgestellt. Dort heißt es in der Einleitung:
„In accordance with Article 8(1)(a) of the EBA Founding Regulation, the EBA, when carrying out its tasks, may take into account the integration of environmental, social and governance (ESG)-related factors. To this end, in accordance with Article 8(1)(a), these guidelines take into account environmental factors for loan origination and also put in place guidance for monitoring material ESG-related risks.“
Entsprechend werden den Banken im Hinblick auf ihre Kreditvergabebedingungen, ihre Kreditentscheidungen sowie das Monitoring und Risikomanagement bereits umfangreiche Pflichten für ESG-Risiken auferlegt.
Zum EBA-Leitfaden „Guidelines on loan origination and monitoring“
Diese Pflichten werden auch vor dem Hintergrund der EU-Regulierung vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen zu betrachten sein, der einen detaillierten allgemeinen Umfang vorgibt.
Zentralbankpolitische Vorgaben seitens der EZB
Einen Vorgeschmack dazu gibt auch der Ende November 2020 veröffentlichte Leitfaden der EZB zum Thema Klima- und Umweltrisiken – Erwartungen der Aufsicht in Bezug auf Risikomanagement und Offenlegung.
Und auch die zentralbankpolitische Seite der EZB wird entsprechend auf die Finanzmärkte einwirken, denn die wiederholt von der EZB angekündigte Berücksichtigung von Nachhaltigkeits- und Klimaaspekten in ihrer Geldpolitik geht in die gleiche Richtung.
Banken und Finanzmärkte sind in hohem Maße von der Refinanzierungsfunktion der EZB abhängig. Ebenso wirkt die EZB mit ihrer Ankaufspolitik massiv auf die Finanzmärkte ein.
Banken werden daher damit zu rechnen haben, dass die EZB zukünftig
- diejenigen ABS, Covered Bonds und Corporate Bonds in ihrer Ankaufspolitik bevorzugt, die der EU-Nachhaltigkeitsregulierung entsprechen und
- Repogeschäfte von Banken mit der EZB, die vorzugsweise mit Covered Bonds und ABS als Collateral getätigt werden, in Zinssatz und Haircuts begünstigt, sofern die als Sicherheit hinterlegten Produkte der EU-Nachhaltigkeitsregulierung entsprechen.
Auch dies hat eine nicht zu unterschätzende Lenkungsfunktion auf die Kreditpolitik von Banken gegenüber der Realwirtschaft, bestimmt es doch indirekt über deren Refinanzierungspreis und -konditionen.
Corona als Gamechanger
Nun erscheint Corona als Gamechanger. Viele Branchen sind von Corona direkt betroffen: ihre Absatzmärkte brechen ein und/oder ihreFinanzierungsbedingungen verschlechtern sich. Wenngleich aufgrund der vielen staatlichen Hilfen sowie rechtlicher und regulatorischer Aussetzungen (z.B. des Insolvenzrechts) die Folgen davon bislang nicht in vollem Maße sichtbar wurden, sind sie dennoch abzusehen. Die Schnittmenge von Zombieunternehmen, von durch Corona betroffenen Unternehmen und von Unternehmen, die von der neuen Nachhaltigkeitsregulierung negativ beeinträchtigt werden, könnte hoch sein. Alle drei Faktoren zusammen genommen haben das Potenzial, einen tieferen Strukturwandel auszulösen als bislang angenommen.
Ausblick
Damit schließt sich der Kreis:
Der Realwirtschaft wird ein umfangreiches Reporting zu Umweltberichterstattung auferlegt, dem eine detaillierte Taxonomie zugrunde liegt. Diese ist nicht primär ergebnisorientiert, d.h. nur auf die Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele wie z.B. CO2-Ersparnis und -Bepreisung ausgerichtet, sondern geht tief in den Wertschöpfungsprozess hinein und erhebt somit, vergleichbar mit planwirtschaftlichen Ansätzen, auch den Anspruch einer konkreten Technologiebewertung.
Die Reportings werden zukünftig die Kapital- und Finanzmärkte und deren Institutionen maßgeblich lenken. Das dafür erforderliche Monitoring und Risikomanagement werden sich entlang der EU-Taxonomie und der darauf aufbauenden Berichterstattung der Realwirtschaft bewegen. Dies wird wiederum auf die Realwirtschaft und deren Produktionslinien sowie angewandte Technologien und Verfahren zurückstrahlen. Was in der Taxonomie nicht als nachhaltig bewertet ist, wird es zukünftig erheblich schwerer haben, entsprechende finanzielle Mittel zu erhalten, was sich auch wiederum auf die Bonität der Unternehmen auswirkt, die derartige Produkte herstellen bzw. Verfahren anwenden (vgl. auch Artikel TSI kompakt vom 24. Februar 2021 31 Empfehlungen des Sustainable-Finance Beirats der Bundesregierung).
Konsequenzen für Asset Based Finance und Verbriefungen
Asset Based Finanzierungen und Verbriefungen werden von den neuen Nachhaltigkeitsregulierungen voraussichtlich profitieren können. Dafür spricht u.E. die relativ konkrete Zweckbestimmung solcher Finanzierungen, d.h. ihre klarere und bessere Abgrenzbarkeit gegenüber allgemeinen Unternehmensfinanzierungen. Originatoren, Arranger und Investoren bei Verbriefungstransaktionen sind darüber hinaus bereits gewohnt mit umfangreichen, detaillierten Transparenzanforderungen, wie sie jetzt auf den gesamten Finanzierungsmarkt zukommen, umzugehen.