Die Vorschläge von EconPol zeigen die Richtung
Die Menschen lieben Geschichten mehr als Fakten. Je eingängiger die Geschichte ist, umso besser. Nicht zuletzt der Spiegel-Redakteur Claas Relotius führte uns dies die letzten Jahre mit seinen „Reportagen“, pardon mit seinen Schwarz-Weiss-Geschichten, von bösartigen und einfältigen Trump-Wählern, heroischen und selbstlosen Flüchtlingen, barmherzigen Helfern vor und kassierte dafür einen „Journalisten“-Preis nach dem anderen. So haben wir jahrelang nicht gesehen, dass alle diese „Live-Reportagen“ seiner Phantasie entsprangen während kaum ein Wort den Tatsachen entsprach.
Eine Geschichte, ist sie einmal in den Köpfen der Menschen, ist schwer aus der Welt zu schaffen. Denn das Kind im Mann – und natürlich auch der Frau – beherrscht auch den Erwachsenen. Wieso sich mit den kalten, unromantischen Fakten abgeben, wenn die Geschichte ein einfaches, stabiles Weltbild liefert, an dem man sich auch in Unkenntnis der Vielfältigkeit der Tatsachen hilfesuchend festhalten kann.
In den Finanzmärkten hat dies in den letzten Jahren kaum jemand so deutlich erfahren als alle jene, die sich mit Verbriefung beschäftigten. Denn als die Finanzkrise 2007 ausbrach, war der Schuldige schnell gefunden. Von den amerikanischen Subprime-Verbriefungen ausgehend wurden, ohne sich tiefer mit den Fakten zu beschäftigen, alle Verbriefungen mit der Finanzkrise gleichgesetzt. Selbst seriöse Zeitungen titelten damals in ihren Leitkommentaren: „Die Verbriefung ist an allem Schuld“ (FAZ) und machten mit der Schlagzeile auf „Verbietet Verbriefungen!“ (FTD). Abgerundet wurde die Geschichte mit der kausal nicht zutreffenden, aber politisch ins Bild passenden Schlussfolgerung, die Finanzkrise sei die Ursache für die zeitlich folgende Eurozonenkrise.
Es war eine schöne, eingängige Geschichte, die es vielen ersparte, sich mit den wahren Ursachen der Finanzkrise von 2007 bis 2009 auseinanderzusetzen. Und: sie hatte lange Bestand, bis schließlich selbst ihre hartnäckigsten Verfechter die Fakten nicht mehr ignorieren konnten und begannen einzusehen, dass der US-Subprimemarkt und der europäische Verbriefungsmarkt von 2007 nichts miteinander zu tun hatten.
Eine Dekade nach Ausbruch der Finanzkrise
Heute, eine Dekade nach der Finanzkrise, blicken wir weiterhin mit Sorge nach Europa. Die Jahre seit der Finanzkrise wurden wenig genutzt, um Europa sturmfest zu machen für die nächste Finanzkrise. Oft, allzu oft, wurden die Probleme fernab von dort gesucht, wo sie liegen. Jetzt drängt die Zeit.
Eine Schwachstelle der europäischen Integration ist zweifelsohne der geringe Grad der grenzüberschreitenden Risikoverteilung im Bankensektor. Dies, zusammengenommen mit der hohen Abhängigkeit der europäischen Wirtschaft von der Bankenfinanzierung, macht das europäische Bankensystem krisenanfälliger als es ehedem schon ist. Es wirkt wie ein Katalysator bei regionalen, nationalen Wirtschaftskrisen.
Mitarbeiter des Mannheimer ZEW und des Münchner Ifo-Instituts sind im Rahmen von EconPol Europe, dem European Network for Economic and Fiscal Research, in einem EconPol Policy Brief diesem Thema nachgegangen. Ihr Beitrag „European Financial Integration through Securitisation“ untersucht, welchen Beitrag Verbriefung leisten kann zur Verbesserung der Risikoverteilung im europäischen Bankensektor.
Zum EconPol POLICY BRIEF „European Financial Integration through Securitization“
Handlungsoptionen zur Integration der europäischen Finanzmärkte
Ihr Fazit:
- Europäische Banken weisen ein sehr hohes, konzentriertes Inlandsrisiko in ihren Bilanzen auf, denn der europäische Bankensektor ist nur wenig europäisch ausgerichtet. Dies gilt für die Staatsfinanzierung genauso wie für die Unternehmensfinanzierung und Kredite an Privathaushalte.
- Es gibt drei Wege, diese geringe Integration zu verbessern. Erstens: grenzübergreifende Bankenzusammenschlüsse, zweitens: die Umlenkung der Finanzierungsströme weg von den Banken hin zu den Kapitalmärkten und drittens: die Förderung und Intensivierung der Verbriefung.
Die ersten beiden Optionen haben offensichtliche Schwachstellen. Grenzüberschreitende Bankenzusammenschlüsse begünstigen die Entstehung weiterer systemrelevanter Banken und aller damit verbundenen Risiken. Die Umlenkung der Kapitalströme weg von den Banken hin zu dem Kapitalmarkt setzt eine Veränderung historisch gewachsener Spar- und Anlagekulturen voraus.
Die Förderung der Verbriefung bleibt somit als sinnvollstes Instrument, über das die europäische Politik kurz- und mittelfristig bessere Ergebnisse erzielen kann.
Im Folgenden gehen die Autoren der Frage nach, warum Europa vor diesem Hintergrund die Chancen der Verbriefung nach Ausbruch der Finanzkrise nicht besser nutzte. Die Gründe dafür sehen sie in der politischen Stigmatisierung von Verbriefungen in Europa, der infolgedessen restriktiven Regulierung und, was noch mehr ins Gewicht fällt, in der regulatorischen Unsicherheit, aber auch in der Politik des billigen Geldes durch die EZB, die alternative Finanzierungsinstrumente verdrängte.
Positiv bewerten die Autoren vor diesem Hintergrund die neue STS-Regulierung. Sie schaffe regulatorische Sicherheit und einen einheitlichen, guten europäischen Rahmen für Verbriefungen. Zudem trage sie dazu bei, die fortbestehende Stigmatisierung zu überwinden.
Weitere Schritte für die Schaffung eines Level Playing Fields
Doch um die europäischen Verbriefungsmärkte nachhaltig zu beleben, dürfe man nicht dabei stehen bleiben. Sie schlagen als weitere Schritte vor, ein Level Playing Field zu schaffen für hochqualitative Verbriefungen mit anderen, vergleichbaren Kapitalmarktinstrumenten wie z.B. dem Covered Bond und entsprechend
- die RWA- und Eigenkapitalunterlegungen anzupassen sowie auch
- alle weiteren Regulierungen wie z.B. die Liquidity Coverage Ratio (LCR)
dahingehend zu überarbeiten.
Des Weiteren sollten nicht nur die Kreditdaten für verbriefte Kredite durch Banken offengelegt werden, sondern auch die für nicht verbriefte. Die durch AnaCredit verfügbaren Daten sollten ebenfalls Investoren in Verbriefungsprodukten zugänglich gemacht werden, damit sie bei grenzüberschreitenden Investitionen eine bessere Beurteilungsgrundlage bekämen. Darüber wäre auch das Steuersystem und die Vollstreckungsverfahren für Kreditforderungen europaweit anzupassen.
Da grenzüberschreitende Verbriefungsinvestments von Banken – so die Autoren – zum Ausgleich lokaler, regionaler Konjunkturzyklen beitragen und damit auch der Stabilität des europäischen Finanzsystems dienten, sollten sie auch entsprechend begünstigt werden. Dies sollte über die Eigenkapitalunterlegung geschehen. Cross-Border ABS-Investments sollten folgerichtig beim antizyklischen Kapitalpuffer (countercyclical capital buffer, CCyB) Berücksichtigung finden, denn die Verbindung des CCyB mit der geographischen Risikodiversifikation in Europa wäre ein wichtiger Beitrag, die Risikoteilung europaweit voranzubringen.
Ein europäischer Verbriefungsmarkt, der grenzüberschreitende Investitionen und Risikodiversifikation schafft, sollte auch über Garantien und Investments öffentlicher, europäischer Förderinstitute vorangebracht werden. Die EIB (European Investment Bank) und der EIF (European Investment Fund) haben bereits Erfahrungen in der Nutzung von Verbriefungen zum Zwecke der SME-Förderung. Darauf kann man aufbauen. Die Autoren schlagen vor, bereits bestehende Programme zur SME-Förderung stärker als bisher auf Verbriefungen von SME-Krediten (im weiteren Sinne, nicht im engeren Sinne der EU-Definition, was auch bereits der bisherigen Praxis entspricht) zu konzentrieren. Damit würde nicht nur die grenzüberschreitende Risikodiversifikation in der SME-Finanzierung befördert, ein solches Vorgehen wäre auch ein wichtiger Hebel, um im Rahmen des neuen STS-Regelwerks für Verbriefungen die Assetklasse SME-Verbriefungen voran zu bringen.
Würdigung des EconPol Policy Brief
Die Autoren Kirschenmann, Riedler und Schuler haben mit ihrem Artikel zweifellos einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte geliefert, wie man das neue STS-Regelwerk für Verbriefungen nutzen kann, um die Integration der europäischen Finanzmärkte zu vertiefen und weitere Ausgleichsmechanismen zwischen den verschiedenen Ländern und Regionen zu schaffen. Ihr Papier setzt dabei an der Zielsetzung des EU-Projekts Kapitalmarktunion an und gibt Hinweise für dessen Weiterentwicklung. Viele ihrer Vorschläge sind kurz- und mittelfristig umsetzbar, so z.B. die entsprechende Ausrichtung europäischer Förderprogramme. Andere sind grundsätzlicherer Natur und brauchen daher gründlicher Vorbereitung und Zeit, so die Anpassung von Steuer- und Zwangsvollstreckungssystemen. Wünschenswert wäre dafür sicherlich ein über das reine Aufsichtsrecht hinausgehendes europäisches Verbriefungsregime, dass auch steuerliche und insolvenzrechtliche Tatbestände einbezieht.
Auffällig ist, dass die Autoren alle ihre Betrachtungen rein auf True Sale Verbriefungen konzentrieren. Sie bleiben damit in der Logik der aktuellen Fassung der STS-Regulierung. Zu kurz kommt dabei u.E. die Bedeutung der synthetischen Verbriefung für die Risikodiversifikation insbesondere im europäischen SME-Markt. Zumal man durch synthetische Verbriefungen bestehende Schwachstellen im Steuer- und Insolvenzrecht teilweise ausgleichen können und trotzdem die gewünschten Risikoteilungseffekte erzielen würde. Diese Erkenntnis scheint sich auch auf EU-Ebene langsam durchzusetzen. Die EBA hat den Auftrag Vorschläge für eine entsprechende Erweiterung des STS-Regelwerks zu erarbeiten.
Insgesamt jedoch ist das Werk der drei Autoren ein ideen- und kenntnisreicher Beitrag, um die stockende Diskussion zur Vertiefung der europäischen Kapitalmärkte zu beleben.
Zum EconPol POLICY BRIEF „European Financial Integration through Securitization“